Eine Art Tagebuch
Ihre Großeltern, sagt meine Friseuse, hätten eine Kohlenhandlung besessen. Dort, zwischen den Kohlen, im Kohlenlager der Großeltern, fand die Kindheit statt. Dieses Minimum an Kindheit, das auch ihr zugestanden wurde. Sie ist nicht verbittert. Sie nennt die Dinge beim Namen. Wenn einer Krebs hat, sagt sie er hat Krebs, und wenn einer tot ist, fällt ihr nicht ein, ihn als hingeschieden oder von uns gegangen zu bezeichnen.
Sie ist stabil und zupackend. Sie hat alles im Griff. Sogar ihren Chef.
Ich erzähle ihr von Frau Sadowski und Lisa, von dem Jungen, der vor dem Salon im Regen tanzt und schließlich von Berlin, von der Strafanstalt Tegel und Franz Biberkopf. Erst lächelt sie, dann legt sie die Stirn in Falten. Schließlich schweigt sie nur noch beharrlich.
Wir erzählen uns Geschichten, sage ich, dass ist meine Art den Leuten die Haare zu schneiden.
Man merkt, dass Sie eine schwierige Kindheit hatten, sagt sie zum Abschied. Und ich sehe ihr an, dass sie mir verziehen hat.
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Die Zeit. Das Wort. Wir wenden uns ab. Kehren uns um. Abwesend. Nichtssagend.
Péter Esterházy hat einen
Produktionsroman geschrieben, andere produzieren wenigstens irgend etwas. Ich verlangsame. Ich verringere den Abstand. Sonst nichts.
Die Zwischenräume müssen nicht gefüllt werden, denn es gibt ja das Nichts, die Langeweile, das Überflüssige, das sich von selbst in die Zwischenräume legt. Räume zwischen dem Auftauchen einer Frage und ihrer notwendigen (zwangsläufigen) Lösung.
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Immerhin gestern nachmittag die ersten Krokusse entdeckt.
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Ich krame nur noch alte Sachen raus und habe Zahnschmerzen und brauche Zuspruch.
Scheitern, wenn es gerade geschieht, ist nicht besonders produktiv.
(so viel zu der angestrebten Helligkeit des Inhalts)
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Als hätte ich die Fäden aufgetrennt und falsch wieder zusammengefügt, sitze ich hier in diesem Raum unter dem Dach, links und rechts Schrägen, vorne das Fenster, hinter mir die Tür, und sehe diese Erinnerung: S. Zimmer unter dem Dach, drei Menschen, unverschämt jung, rührend hilflos verstrickt in ein Streitgespräch darüber, ob es Glück gibt, was Glück ist. Ernsthaft abwägend wie Zeichen zu deuten, Gefühle abzuwägen sind.
Drei Menschen, die der Traum nach und nach aus den Augen verloren hat.
Eine davon sitzt hier mit leeren Händen und dieser Erinnerung.
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So ist es wohl mit dem Älterwerden, dass man das Bittere zurücksehnt, die Zeit, die man mit Füßen getreten hat, anbetet zurückzukommen.
Und damit ist schon alles gesagt, aber wir müssen ja weitersprechen. Uns den Widersprüchen aussetzen, im handhabbaren Maßen zornig werden. Beleidigt auch, lächerlich ohnehin. Und unsere eingeborene Melancholie als Weisheit preisen. Koste es, was es wolle, am ehesten das Leben und das ist jetzt platt und ohne doppelten Boden. Bloß Leben eben, keine Poesie.
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Der Morgen war ratlos. Vielleicht deshalb bildete er sich ein, alles besser zu wissen. (Was sonst ist Ratlosigkeit?) Ich weckte den Rest meines Körpers und stand auf. Das glatte Holz unter meinen bloßen Füßen begrüßte mich. Kalt, aber auch ansehnlich, auf eine Art verbrüdert, die mir sonst schon lange niemand mehr entgegenbrachte. Es trug mich. Immerhin.
Die Geräusche waren schon lange vor mir erwacht. Ich aber würde erst wieder etwas zu sagen haben, wenn ich wüsste wohin ich gehen sollte. Wenn ich ein Ziel vor Augen hätte. Gleichgültig wie unerreichbar es war.
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Ja. Natürlich. Es wird dich zerreißen. Und schlimmer noch: dich allein. Ein einziges Mal wirst ausgerechnet du ausgewählt werden. Nur um zerrissen zu werden. Vor aller Augen. Allein.
So sprach ich zu mir. So redete ich auf mich ein. Immer noch wollte ich eine Dichterin sein. Genügte mir nicht das, woran ich täglich scheiterte? Ich. Meine Vergangenheit. Der zerfallene Körper. Das zerrüttete Gesicht. Ich würde mich nicht wiedererkennen, wenn ich mich nicht täglich zwingen würde, mich anzusehen. Auch wenn es kein Ansehen ist. Aber ich selbst habe einmal behauptet, dass alles wirkliche sich hinter dem Spiegel abspielt. Von wegen Spiel. Das hier ist bitterer Ernst. Das sind Gedanken. Und alles kommt über uns, aber wir wählen aus, um dann wieder sagen zu können: mit mir ist das Leid.
Ich wollte von Scham reden. Meine Art, es zu tun, ist es zu vermeiden. Scham? Was für ein seltsames Wort. Unangenehmer Klang. Ich könnte mal nachschlagen, die Suchmaschine damit füttern. Apropos füttern: wer hat eigentlich mich gefüttert mit der Scham? Eine Frage, die ich Sansibar in den Mund legen könnte und dort läge sie gut. In seiner weichen, feuchten, dunklen Mundhöhle. Der vage Moment der Möglichkeit: wird er die Frage verschlucken, auf ihr herumkauen oder spuckt er sie aus?
Und dann, wenn er sie ausgespuckt hat? Werde ich dann wissen, was Scham ist? Was das mit mir zu tun hat? Vielleicht könnte ich aufhören immerzu gesehen werden zu wollen, wenn ich mich einmal selbst ansehen würde. Vielleicht.
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Ich bin ein Räderwerk. Ich bestehe aus mehreren, miteinander unverbundenen Ideen. Sobald sie sich verbinden, löschen sie einander aus.
Wir sind weit entfernt von der Idee einer Demokratie. Gerade in der Kunst sind wir weit entfernt von Gleichberechtigung. Von einer Haltung, die diesem Begriff nahe kommen könnte. Ihn berühren und ernst nehmen würde.
Würde ist ein weiterer Begriff, den man zum weiten Begriff machen kann, wenn man ihn nicht erklären und verstehen will. Der Künstler, der nach Erfolg strebt, benimmt sich würdelos. Nehmen Sie mich als Beispiel. Um meine Worte zu verkaufen, um gelesen zu werden, poste ich in Foren, schreibe Rezensionen für virtuelle Feuilletons, ohne darum gebeten worden zu sein, und – was weitaus schwerer wiegt – ohne eine wirkliche Notwendigkeit dazu zu verspüren (außer der gelesen und wahrgenommen zu werden). Ganz schnell gelangt man dann zu diesem Punkt, an dem man beginnt sich anzubiedern (und man zu schreiben statt ich). Sich selbst verkauft man diese Art zu handeln als „Offenheit“, „Neugier“, vielleicht auch als „Unsicherheit“ und „Zweifel“.
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