Tagebuch einer Verschwindenden
Diese Nacht die ich mir vorstellte,
war schier nicht vorstellbar.
Ein zäher Nebel lag über dem was wir dachten
(was die anderen hören wollten
und was wir zu erzählen hatten)
unsere Vorsehung vorbehaltlos zu verschwinden,
und doch Spuren zu hinterlassen.
(Narben!)
Die Fenster blieben geschlossen,
vor der Tür tanzte Schnee,
so viel leichter als wir,
(ein verwunschener Flug der Unerheblichkeit).
Wir wollten voran kommen,
den Schnee beiseite schieben
(seine Leichtigkeit auch).
Niemand stand auf.
Es war niemand da, der aufstehen konnte.
Nur ich.
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Mein Gesicht im Spiegel. Es gibt Tage an denen ich mich nicht erkenne. Heute ist mein Gesicht verziert von einer schweigsamen Verlegenheit. Weil ich an ihn denke.
Ich sollte mich an die Buchstaben halten, an die, die mir auffallen. Die Worte erscheinen mir wie ein zunehmend zahnloser Mund. Die Verwunderung, wenn sich die Farben mit den Buchstaben mischen, die Bücher füllen, die Leinwände, die Träume, bis da kein Unterschied mehr ist, dann bin ich am Ziel, sind wir am Ziel. Ich wünschte, ich könnte mein Unterscheidungsvermögen verschenken.
Vor mir steht diese Uhr, die immer nachgeht, so oft man sie stellt. Verrückte kleine Uhr.
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Der Tag hüllt sich in Nebel. Fast nichts kann man erkennen durch diese dunstige Wand. Augustnebel. Den halben Morgen habe ich so am Fenster gestanden, ohne zu wissen, ist es mein Atem, der die Scheiben beschlägt, oder der Nebel auf der anderen Seite des Fensters, der mich nichts erkennen lässt, und doch glaube ich immerzu eine Gestalt zu sehen, auf und ab marschierend in gemessenem Schritt und schwarzem Anzug. Wer sollte das denn sein?
So ein Tag ist ja von Anfang an verdorben, wenn er mit einer Frage beginnt.
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Ich rede nicht gerne über mich, ich denke nicht gern über mich nach, ich sehe mich nicht einmal gern im Spiegel an, die meiste Zeit vergesse ich mich. Das ist der Grund, warum ich Tagebuch schreibe. Ich glaube, ich werde mich eines Tages daran erinnern wollen, wie ich mich vergessen habe. Wie so ein Tag angefangen hat, an dem ich mich vergessen habe. Der Eröffnungszug, den niemand wahrnimmt. Es war diese Nacht. Diese Nacht, die nie wiederkehren wird. Diese Nacht mit ihrem Staunen und Geplänkel, ihren leeren Straßen und falschen Hoffnungen. Diese Nacht in der man alles glauben konnte. Eine Nacht mit Nachthimmel. Mit filmreifen Nachthimmel. Der Mond, der sich mit Wolken zudeckte. Es war kalt. Natürlich war es kalt. Wenigstens in der Erinnerung war es kalt. Und die Wolken vielzählig (überzählig) und unterwegs. So hat es angefangen. Ohne Eröffnungszug. Mit Mond und Wolken. Mehr Wolken als Mond.
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