Samstag, 1. November 2008

Atemzüge

Da ziehst du mit dem Atem
Der Wellen durch die Dämmerung treibt
Die Luft, die dich ernst nimmt
So lange bis du zu tanzen beginnst
Und das ist immerhin ein Anfang
Den man genau so gut
Unter schweren Buchdeckeln trocknen kann
Um ihn dann zu vergessen
Erst Jahre später
Wird jemand das Buch aufschlagen
Und du sagst
Das war damals
Als ich den Atemzügen gelauscht habe
Als wären sie ein Reiseziel
Diese Momente
Aus denen das Glück besteht.
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Freitag, 31. Oktober 2008

Ein Mann (51)

Es gibt einen Mann. Er hasst mich.
Er wirft mit Worten nach mir.
Ich schleudere ihm mein Schweigen entgegen.
Wenn wir reden,
reden wir uns schwindelig.
Wir packen die Worte beim Schwanz,
und lassen einen Satz enden, wo der andere aufhört.
Unsere Worte spielen Katz und Maus.
Und unser Schweigen löscht jede Erinnerung.
Früher haben wir in der Sonne gesessen,
und an den Winter geglaubt.
Wir haben Namen gefunden,
wie andere bunte Steine.
Wir haben unser Unterscheidungsvermögen
aufs Spiel gesetzt
(dort sitzt es noch immer)
und uns leichtfertig an einen Traum verschenkt.
Die Welt kam uns entgegen,
aber wir waren schneller.
Wir setzten uns in ein bankrottes Auto,
das wir im Straßengraben fanden
und fuhren los
und fuhren fort,
bis uns die Verantwortung auf den
Kopf fiel.
Und einer von uns, sein Vermögen zurückverlangte.
Aber vielleicht war dieser Unfall
nur der Einfall des anderen.
Haltlos wie unser Hass
und der Boden unter unseren Füßen.
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Abgeschlagen

Vielleicht wenn wir uns verwechseln
Du mit mir
Ich mit dem alten Leierkastenmann
Oder den Nadeln der Tanne
Die dir die Finger blutig stechen
Wenn Du den Weihnachtsbaum schmückst
Und das dumme Haus
Vertraut dir
Öffnet die Tür
Nur weil Du den Schlüssel vergessen hast
Besser
Du hättest dich verwechselt
Mit einer Welt
Die dir ihre Engelszungen
Entgegenstreckt
Und Versprechen in die Weihnachtsplätzchen knetet
Damit sie keine Schatten werfen
Auf deine Bewegungen
Von denen du glaubst
Sie könnten dir keinen Wunsch
Abschlagen.
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Donnerstag, 30. Oktober 2008

...

Vielleicht wenn wir die Zeit anhalten
So wie damals,
als wir den Daumen in die Luft gehalten haben
Und immer so taten,
als hätten wir festen Boden unter den Füßen.
Aber das war nur Glatteis,
das langsam wegtaute.
Und unsere Füße haben wir längst nicht mehr gespürt
So wenig wie das Verstreichen der Zeit
Bis heute, bis gerade
Und stehen am Hafen
Sehen die Schiffe ablegen
Umstellt von der Zeit,
die wir einräumen
in Regale
in Schubladen
und unsere Blicke
in Zeitalter ordnen
die zwischen uns verstreichen
bis wir die Fische in unseren Augen sehen.
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Mittwoch, 29. Oktober 2008

Segel

Schau noch einmal himmelwärts,
weil Antworten in der Luft liegen.
Sich sammeln
Zwischen den Zeiten
Unter dem raschelnden Laub
Vorräte
Versteckt für den Winterschlaf
In den Falten der Träume
Die Schatten einholen
Wie die Segel eines Schiffes
Das am Horizont verschwindet.
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Dienstag, 28. Oktober 2008

Ein Mann (50)

Es gibt einen Mann. Er hasst mich.
Er winkt mir zu.
Er winkt mit dem Zaunpfahl.
Gestern hat er versprochen, ein Haus daraus zu zimmern,
und heute winkt er mir damit zu.
Er winkt nicht freundlich.
Er wirkt nicht freundlich.
Vom Freund zum Feind,
das ist ja nur ein Buchstabensprung.
Er ist unberechenbar.
(Im Nenner immer das Ich,
das jeden Zähler bricht)
Früher hat er als Politesse gearbeitet
Und abends die Zeche geprellt.
Aber dann wurde er groß.
Zu groß für solche Geschichten,
die zwischen parkenden Autos spielen
und auf Vollstreckung warten,
wie ein bankrotter Morgen,
dem keiner mehr Kredit gibt,
weil er um sich selbst kreist,
wie ein sehr alter Komet,
der nie lesen gelernt hat.
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Montag, 27. Oktober 2008

November


Und im November
Die Sorgen mitgenommen
Spinnennetze hängen auch an anderen Büschen
Und wenn ein Zug abgefahren ist
Kommt immer ein nächster.
Die Nächte werden jetzt kalt
Und der Abend kommt früher
Mit der räudigen Katze
Um die Ecke
Gemeinsam gehen sie Spinnen fangen
Und freuen sich
Wenn im Morgengrauen
Der alte Mann mit dem Stock
Vergeblich nach ihnen sucht.
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Die Tür

Ich bin grausam. Wenigstens mitleidslos. Wie Schneewittchens Mutter wäre ich in der Lage dem Jäger zu befehlen, mein Kind mit sich zu nehmen und nur mit seinem Herzen in der Hand zurückzukehren. Zum Glück habe ich Söhne. Zum Glück bin ich nicht mehr in dem Alter, in dem man an unvergängliche Schönheit glaubt.
Das mit der Grausamkeit, der Mitleidslosigkeit, ist viel älter, beinahe so alt wie ich und es ist eine Geschichte, die in Märchen selten erzählt wird, eine von einem Kind, das grausam zur eigenen Mutter ist. Das Kind als Täter. Die Mutter das Opfer. Das Kind war ich. Mein Vater lag im Sterben. Ich hatte Angst vor dem Tod, oder sagen wir es so, ich fürchtete den Geruch des Sterbezimmers, die gedämpften völlig veränderten Stimmen in seiner Nähe. Die Anwesenheit meines Vaters verwandelte alles in eine lebendige Abwesenheit. Das war unheimlich. Und je mehr darüber gesprochen wurde, mit Blicken, mit Gesten, mit Bewegungen , um so unheimlicher wurde es. Es war wie in einem Magnetfeld, das alle Bewegungen entschleunigte, das die Lautstärke drosselte, ein Magnetfeld, das die Lebendigkeit herausfilterte und vor der Tür abstellte, eine Seite der Tür war seine Abwesenheit. Die andere war jenseits von ihm. Jenseits von ihm war das Leben. Das war das Problem. Deshalb musste das Leben draußen warten.
Ich war fünf Jahre alt. Ich nahm mein Leben mit in dieses Sterbezimmer. Ich war zu jung, um mein Leben von mir zu trennen und vor der Tür warten zu lassen und die anderen im Raum waren zu alt, um das zu verstehen. Aber schlimmer war, wie mein Leben in blinder Panik durch das Zimmer lief und sich an allen Ecken blutig stieß. Schlimmer war, dass nichts und niemand mein Leben beruhigen konnte.
Niemand und nichts, außer dem Tod. Und als der Tod gekommen war, hatte der Jäger getan, was ich ihm aufgetragen hatte. Er brachte mir das Herz meines Vaters als Versprechen, nie wieder in dieses Sterbezimmer zurückkehren zu müssen. Er brachte mir dieses Versprechen mit einem Telefonanruf bei dem ich nur die Stimme meiner Mutter hörte. Die Stimme meiner Mutter, die in der stets gleichen Tonlage nach unterschiedlich lang bemessenen Pausen, verkündete: „Klaus ist tot.“ Was für mich klang wie: mein Leben ist frei, es muss nicht länger ausgesperrt und eingehegt werden. Natürlich liebte ich meinen Vater, den Mann dessen riesigen Pullover ich beim Wandern als Kleid trug, den Mann mit dem mich meine Mutter während unermüdlich wiederholter Prozessionen traute, weil ich schwor niemals einen anderen zu heiraten, als ihn. Aber diesen Mann gab es schon lange nicht mehr, auf dem Platz an dem er liegen sollte, lag jetzt ich und die Vorhänge verhöhnten mich, dass ich diesen Platz doch niemals würde ausfüllen können. Ach ihr, rief ich, das will ich doch auch nicht. Er ist tot, murmelte ich und die Vorhänge lachten. Also stand ich auf, den abgegriffenen Teddy unter den linken Arm geklemmt und fragte meine Mutter: „Wie geht es Papa?“ Ich stand vor ihr und sie stand vor mir. Es war ein ganz gewöhnlicher Morgen. Sie sah tatsächlich aus wie immer, sie wandte mir ihr Gesicht zu, aber sie sah mich nicht an. Manchmal fragte ich mich, woran sie mich erkannte, so lange hatte sie mich nicht mehr angesehen. Ich musste mich sehr verändert haben, seit sie mich das letzte Mal angesehen hatte. Damals war ich ein Teil der gewünschten Familie. Jetzt würde sie mich völlig neu einordnen müssen. Jetzt gab es das Puzzle nicht mehr, nur noch das übrig gebliebene Teil, mich.
Der Boden unter meinen Füßen war kalt, das graue Telefon auf der Fensterbank schwieg. Es roch nach Kaffee und meine Mutter antwortete mit derselben Stimme, mit der sie die Nachricht am Telefon verbreitet hatte: „Papa ist tot.“ Mein Herz schlug einmal härter als sonst und ließ sich dann lange Zeit bevor es weiterschlug, der Teddy fiel nicht aus meinem Arm, die Welt drehte sich nicht in eine andere Richtung. Meine Mutter nahm mich nicht in den Arm. Ich weinte nicht. Ich weiß nicht, was danach geschah. Vielleicht sind wir beide in unterschiedliche Richtungen aus der Tür gegangen, ohne einander zu berühren, obwohl die Tür eng war.
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Ein Mann (46)

Es gibt einen Mann. Er hasst mich.
Er hat den Kopf voller Worte.
Er nimmt sich wichtig.
Und dabei verschwindet er.
Er ist sich so sicher, wichtig zu sein,
nur seine Augen, die richtig sehen,
nur ihm allein das Licht aufgesteckt,
um alles zu erkennen.
Nur seine Stimme.
Er allein kann die Buchstaben auflesen
Und nach dem Sinn tauchen.
Er verschwindet.
Verschwindet in seiner Bedeutung.
Verbrennt
Oder
Vergeht
Geht unter
Aber was bleibt
Sind die Buchstaben
Die er aufgelesen hat
Und wie man Bilder daraus legen kann.
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Sonntag, 26. Oktober 2008

Ein Mann (39)

Es gibt einen Mann. Er hasst mich.
Die Straße kennt ihn.
Die Straße vor meinem Haus.
Und die Kastanie
Und die Birke
Nicken ihm zu.
Die Amsel,
die Buchfinken,
grüßen ihn.
Frau Müller
Leiht ihm einen Nussknacker.
Alle kennen ihn,
grüßen ihn,
vergessen ihn.
Nur ein Mann,
mit Hut
und die Schuhe,
oder doch eine Glatze
Aber die Jacke aus Cord.
Geht hier ein und aus,
fängt die Fische aus den Nasenlöchern
der Kinder,
aber gibt nicht an,
immer bescheiden.
Geht immer diese Straße,
sammelt Kleingeld für den Münzfernsprecher,
schließt die Tür
und verschwindet.
Sucht jemand bestimmtes,
findet immer nur mich.
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Donnerstag, 23. Oktober 2008

Ein Mann (01)

Wir tauschen uns aus
Und fangen von vorne an
Ein Mann eine Frau
Eine Frau ein Mann
Ein Schritt vor den anderen
Und der andere hinterher
Es gibt immer einen der hinterherhinkt
Weil er die Buchstaben aufliest
Die aus der Suppe gefallen sind
Und sie in Grashalme wickelt
Aus Angst sie könnten sich erkälten
Das Wetter hält sich bedeckt
Vielleicht könnte es so anfangen
Die Frau hinkt hinter dem Mann her
(er auf der Jagd nach großen Ideen)
und legt ihm die Buchstaben vor
er tauscht sie aus
und dann steht da:
Es gibt einen Mann. Er hasst mich.
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