Freitag, 18. September 2009

Schneewittchen

Schneewittchens Geschichte verlief hinter den Spiegeln
Dort gebar der Frosch einen Prinzen
Und begrub seine Kraft
Das heißt die Magie der Verwandlung

Das Blut und die Tränen
Die gefalteten Hände
Eine Spur aus unbeugsamen Brotkrumen
Die sehr beharrlich zwischen dem es war einmal
Und dem vorläufigen Ende lag

Diesem Ende im durchsichtigen Sarg
In dem nicht nur die Zwerge
Die Einbildungen der Vergangenheit erkannten
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Donnerstag, 17. September 2009

Nachträglich

Es war der sechszehnte September
Ich saß vor dem Fenster
Und konnte mich an nichts erinnern
Es gab nichts
Außer mir und dem Wind
Und dem Blick aus dem Fenster
(ein Blick wie ein wohlwollendes Schweigen)
Ein seltsam glanzloser Tag
An dem ich träumte
Drei Männer betraten einen Wald
Mit dem festen Vorhaben
Sich zu verirren
Sie pflückten den Himmel von den Sternen
Und teilten die Wege auf

Am Anfang ist man so leichtsinnig
Sagte der erste
Man würde seine Katze töten
Für ein bisschen Erfolg

Der zweite schwieg nur mit den Augen
Der dritte hatte die beiden anderen sehr lieb

Sie trennten sich nicht
Um das Glück zu finden
Sie sahen sich als Bestandteil
Eines unglücklichen Verlaufs

Ich lag in den Armen der Hexe
Berichtete der Dritte
Als sie nach Ablauf der Frist
Wieder zusammentrafen
Der Zweite fragte nach seinem Namen
Der erste aber
Erinnerte sich an mich
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Montag, 14. September 2009

Die Fotografie

Man kann sehr deutlich erkennen
Wie der Raum nach ihr greift
Bevor sie sich endgültig entwindet
Und dem Betrachter nur überlässt
Was verwachsen ist mit den Verkleidungen
Die sie trägt wie der Wind seine Haut
Die säuerlich aufgebahrten Gedanken
Die keiner bestattet
Und die Gedanken die im Gleichschritt
Hinter ihrer Stirn marschieren
Als Kind hat sie den Birken
Die Verwunderung von den Blättern geritzt
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Donnerstag, 10. September 2009

Vom Bärte tragen

Ich war elf
Damals trug ich noch einen Bart
Ich hatte den Glauben an Märchen verloren
Und die Magie der Worte
Noch nicht entdeckt
Ich schrieb ein Wort
In mein Tagebuch
Und unterstrich es
Ich wollte ihm Nachdruck verleihen
Damit ich mich im unvorstellbaren Alter von dreiundvierzig
An diesen Eindruck auf dem Papier erinnern konnte
Damals als Borges, Bernard und Beckett noch lebten
Und ich einen Bart trug
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Mittwoch, 9. September 2009

"Hunger" - Knud Hamsun

„Bruchstücke meines Kinderglaubens kamen mir ins Gedächtnis, der Tonfall der Bibel sang in meinen Ohren, ich sprach leise mit mir selbst und legte den Kopf spöttisch auf die Seite. Weshalb bekümmerte ich mich darum, was ich fressen sollte, was ich saufen sollte und in was ich diesen elenden Madensack, meinen irdischen Leib genannt, kleiden sollte? Hatte nicht mein himmlischer Vater für mich gesorgt, wie für die Sperlinge unter dem Himmel und mir die Gnade erwiesen, auf deinen geringen Diener zu deuten? Gott hatte seinen Finger in mein Nervennetz gesteckt und behutsam, ganz obenhin, ein wenig Unordnung in die Drähte gebracht. Und Gott hatte seinen Finger zurückgezogen, und siehe, es waren Fäden, feine Wurzelfäden von den Fasern meiner Nerven an dem Finger. Und es blieb ein offenes Loch von seinem Finger zurück, der Gottes Finger war, und Wunden blieben in meinem Gehirn von den Wegen seines Fingers. Aber als Gott mich mit dem Finger seiner Hand berührt hatte, entließ er mich und berührte mich nicht mehr und ließ mir nichts Böses widerfahren. Vielmehr durfte ich in Frieden gehen und durfte mit dem offenen Loch gehen. Und nichts Böses widerfährt mir von Gott, der der Herr ist, in alle Ewigkeit...“
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Dienstag, 8. September 2009

Der Ort wo Gedichte entstehen

Immer wieder der Tisch in der Küche
Und auf diesem Tisch das Papier
Darauf die Welt
Vorgestellt und aus Buchstaben
Zwischen die Zeilen gelegt
In eine Geschichte gestellt
Welche Farbe hat das Leben
Welche der Tod
Sitzen am Tisch in der Küche
Und ich schreibe es auf
Irgendwann wenn alle gegangen sein werden
Sitze ich immer noch an diesem Tisch
Und warte
Auf Antworten
Auf Farben
Auf den Ort wo Gedichte entstehen
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Montag, 7. September 2009

Die Mutter der sieben Geißlein

Mag sein dass ich damals mehrmals täglich
Meine Kinder zählte
Ich war verwirrt und ständig in Sorge
Eines von ihnen in der Standuhr zu vergessen
Ich hatte Kreide gekauft
Damit wir die Stimme des Wolfes erkennen
Rotkäppchen war zur Großmutter gerannt
Erst wenn es dunkel wurde
Öffneten wir die Fensterläden
Und wagten uns hinaus in den Wald
Wir befürchteten unseren Träumen zu begegnen
Und dass sie uns unregelmäßig wecken würden
Das war der Grund warum ich ständig in der Standuhr nachsah
Die Zeit spielte nur so lange eine Rolle
Bis Rotkäppchen der Großmutter den Korb entreißen würde
Wir zählten die Sterne
Waren es mehr als sieben
Gingen wir zurück in unser Haus
Um die Mittagszeit rüttelte der Wolf an unserer Tür
Meine Kinder glaubten ihm seine Beteuerungen
Rotkäppchen zu sein
Ich wollte sie warnen
Aber sie hielten meine Angst für den Traum einer Erwachenden
Schließlich öffnete ich die Tür
Und lobte den Wolf für sein hübsches Käppchen
Die Kinder verhielten sich ruhig
Der Wind rüttelte an Frau Holles Tor
Ich sprach mit dem Wolf über die Großmutter
Vor dem Fenster ging Rotkäppchen vorbei
Der Wolf war mittlerweile sicher Rotkäppchen zu sein
Und stürzte hinaus
Jemanden der ihn imitierte
Konnte er nicht ungeschoren davonkommen lassen
Ich zählte meine Kinder
Es waren sieben
Dann trat ich aus der Standuhr heraus
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Mittwoch, 2. September 2009

Sterntaler

Ein Mädchen im frostweißen Hemd
Verwirrt von der Suche nach Straßen
Am dunkelsten leuchtet die Nacht im Wald
Dachte sie
Der Wald, dieser ängstliche Geselle
Trägt seit Jahren schon diesen Schal
Ernährt sich von Fliegenpilzen
Und saumseligen Kindern
Die sich vermittels der Märchen
In seinem Gehölz verirren
(da bläst der Jäger in sein Horn
da ruckelt der Wind am Häuschen
da wächst die Marmelade im Gewehrlauf des Jägers)

Ich bin Sterntaler
Am Weihnachtsabend verkaufe ich Streichhölzer
Da haben die Sterne
Wichtigeres zu tun
Als mir ins Hemd zu fallen
Ich verschenke ständig meine Kleider
Und vergesse gleich darauf an wen
Ich kann mich so schlecht konzentrieren
Meine Nerven sind schwach
Meine Hände halten dem Meteoriteneinschlag stand
Da fallen Worte in das neu gewachsene Hemd
Die in der Nacht leuchten
Doch bei Tageslicht verbrennen sie
Eine Zeitlang habe ich Gedichte geschrieben
Ich verkleidete mich als Mann
Und lag Spitzweg Modell
Damals war ich genau so hungrig nach einem Namen
Wie heute
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